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Die Rabenheim-Sage

#1
Kapitel 1

Irgendwo auf Fridland streckt ein Lagerfeuer seine roten Finger in die nächtliche Schwärze. Hirad rückt nahe an die Flammen und versucht so, die Kälte aus seinen müden Gliedern zu vertreiben. Neben ihm steht sein Bruder Durog, der sich die Taubheit aus den Händen reibt. Mit zwei Umständen hatten die beiden nicht gerechnet, als sie vor wenigen Tagen ihre Füße auf dieses Eiland gesetzt und es anschließend ausgiebig erkundet hatten.
Hirad und Durog durchwanderten Wiesen und Wälder, durchschwammen Flüsse und bestiegen Berge. Sie wehrten hungrige Wölfe ab und flohen vor riesigen Bären. Es dauerte sehr lange bis die beiden Brüder an alle Ufer gelangt waren und grob eine Karte angefertigt hatten. Die Insel ist groß – sehr groß.
Sie fanden Spuren vieler Tiere, jedoch keine von Menschen. Es hatte in der Tat den Anschein, als sei die Insel menschenleer. 'Kann das sein? Und wenn ja, wie lange noch?', dachte jeder von ihnen.
Hirad durchbricht als erste die Stille und die Kälte lässt Dampfwölkchen vor seinem Gesicht aufsteigen. „Wir sind die Ersten, aber wir werden nicht die Letzten sein. Das Land ist fruchtbar, die Berge sind voll...“
Und die Tiere angriffslustig“, ergänzt Durog und streicht sich über seinen verbundenen Arm. „Aber du hast recht“, fährt er fort, „wir müssen dafür sorgen, dass es friedlich zugeht.“
Hirad nickt und beide schweigen für eine Weile. Dann hebt Hirad seinen Kopf und blickt Durog in sein Gesicht, dessen Augen gedankenverloren in das Feuer schauen. „Ich bin kein König und möchte auch keiner sein.“
Glaubst du ich?“, raunt es zurück. „Trotzdem brauchen wir Gesetze und Ordnung.“
Mit ernster Stimme antwortet Hirad: „Und wir müssen für die Einhaltung sorgen.“
Durog erwidert den Blick: „Sie werden bemerken, wer wir sind, was wir zu tun imstande sind. Sie werden um unsere Fähigkeiten wissen. Alles, was wir schaffen, wird hinterfragt. Jeder wird fragen: 'Haben sie von ihrer Macht Gebrauch gemacht?'. Wie hindern wir sie dran?“ Die letzten Wort sprach Durog mit erhobener Stimme.
Wir werden unsere Macht nicht für unsere Zwecke einsetzen, wir werden uns kaum bis gar nicht ihrer bedienen. Jeder von uns beiden will doch einer von ihnen sein.“
Was sagen wir, wenn jemand fragt, woher wir stammen?“
Uns hat ein König entsandt, um diese Insel zu besiedeln.“
Welcher König?“, will Durog wissen.
Harald, der soundsovielte“, kichert Hirad.
Durog schnaubt: „Also gut. Wie nennen wir diesen Ort?“
Wieder wird es ruhig am Feuer, das sich knisternd über die Scheite und Zweige hermacht. Aus der Finsternis schallt der entfernte Ruf einer Eule.
In einer alten Sprache“, setzt Durog an, „war das Wort für Frieden Frid.“
Dann ist es beschlossen. Fridland.“, folgert Hirad.
Den Rest der Nacht verbrachten die Brüder damit, die Gesetze in einer Carta zusammenzutragen und auf Pergament festzuhalten.



Hirad sollte Recht haben. Es vergingen nur Tage, da wurde den Brüdern Grimm gewahr, dass nicht mehr die einzigen Menschen auf Fridland, so hatten sie das Eiland genannt, waren. Tagein tagaus schaufelten Hirad und Durog auf einem Hügel eine Grube, auf deren Grund sie ein Monument errichteten. Den Ort, den zu bauen beabsichtigten, nannten sie Rabenheim. Jedem, der sie fragte und denen, die nicht fragten, sagten die Brüder, dass Rabenheim in ferner Zukunft ein friedliches Dorf, zugänglich für jedermann, sein wird.

Es gab alsbald unter den anderen Bewohnern das eine oder andere Gerücht, mehr geflüstert als gesprochen, wer Hirad und Durog sind und woher sie stammen.
Da war die Rede was von zwei Mönchen, die in ein christliches Kloster gezwungen wurden, aber später ein neues Leben in der Flucht sowie in einem fernen Land suchten.
Und da gab es noch die Geschichte von zwei Händlern, die nach einer Reise in ihr Dorf zurückkehrten und alles und jeden in Schutt und Asche vorfanden. Aus tiefer Trauer über den Verlust ihrer Familien und das gesamte Hab und Gut, machten sie sich auf, in der Ferne nach einem sicheren Ort zu suchen.
Oder die Brüder waren fahnenflüchtige Fußsoldaten, die kein Interesse am Töten und Schlachten hatten. In der Verwirrung eines Kampfes wurden sie von den ihren getrennt und sahen darin die Gelegenheit, sich von dannen zu machen, um weit weg den Häschern zu entkommen.
Ein anderes Gerücht besagt, dass die Grimms Hexer seien. Um ihren grausamen Ritualen in Ruhe und Abgeschiedenheit nachgehen zu können, hat es sie auf diese einsame Insel verschlagen. Schon so mancher, der nicht mehr gesehen, würde in ihren Fängen ein schreckliches Schicksal ereilt haben. Sie sähen mehr als ein Mensch fähig ist zu sehen. Sie könnten aus dem Nichts erscheinen und ins Nichts wieder verschwinden.
Was die Wahrheit ist, wird verborgen bleiben, denn ein Grimm wird es nicht verraten.
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#2
Kuraiko hat geschrieben:Es ist zwar oft schwer, dem eigenen inneren Gefühl zu vertrauen, aber gerade was die Offenbarung von sehr belastenden Dingen angeht ist es umso wichtiger, dass du deine eigenen Grenzen achtest.
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